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Hamstern bis der „Quincy“ kommt

Deutschland im Jahr 2020: Das ganze Land scheint im Corona-Wahn. Nachdem die viralen Einschläge gefühlt immer näher kommen, ist die Bevölkerung zunehmend in Sorge. Beim Gang in den Supermarkt könnte man gar meinen, dass die bislang vornehmlich online ausgelebte Corona-Panik nun das Supermarkt-Regal erreicht hat. Denn die Regale sind dieser Tage vielerorts leer – Deutschland hamstert wieder.

Leere Regale Hamsterkäufe Benanza.Pix
In „Krisenzeiten“ sehr beliebt: Nudeln und Tomatensauce (Foto: Ben Fischer / Benanza.Pix)

Waren es bislang vor allem die – nach Meinung von Experten nutzlosen – Atemschutzmasken, die schon bald nach Bekanntwerden der ersten Corona-Fälle ausverkauft waren, sind es nun auch Waren des täglichen Bedarfs. H-Milch, Reis, Nudeln, Konserven, Nüsse und viele anderen haltbare Lebensmittel sucht man in den Regalen derzeit vergebens – jedenfalls in Städten, in denen ein Corona-Fall bekannt wurde. Und wie heißt es umgangssprachlich so schön: „Wer viel frisst muss auch viel schei…“. Daher überrascht es nur auf den ersten Blick, dass auch Klopapier zur Mangelware wird (siehe Bild ganz unten).

Hamsterkauf als Massenphänomen

Doch was sind Hamsterkäufe eigentlich genau? Laut Wikipedia sind darunter „Kaufvorgänge zu verstehen, die einzig und allein dem Zweck der Hortung, also dem Anlegen von Vorräten, dienen. Hamsterkäufe können oft (…) als massenpsychologische Phänomene auftreten. Heute wird diese Bezeichnung oft abwertend verwendet, da insbesondere Lebensmittel ständig verfügbar sind und eine Hortung als unnötig angesehen werden kann.“ Letzteres liest man übrigens auch von den gern zitierten Experten über das aktuelle Corona-Hamstern.

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Zwei Wochen Corona-Quarantäne mit Bratwurst und Kuchen (Foto: Ben Fischer / Benanza.Pix)

Der Begriff „Hamsterkauf“ lässt sich dabei relativ zweifelsfrei auf das namensstiftende Nagertier, den Hamster, zurückführen. Was dem Hamsterkäufer der Einkaufswagen ist dem Hamster die innenliegende Backentasche. Diese verläuft entlang des Unterkiefers und reicht bis zu den Schultern. Da passt einiges hinein und deshalb stopft sich der Hamster seine Backen gern bis zum Anschlag mit Vorräten voll. Seine Beute transportiert er dann mit vollen (Backen)Taschen in die heimische Höhle – die Parallelen zum Hamsterkäufer liegen auf der Hand.

Geschichte der Hamsterkäufe

Das Hamstern hat es vermutlich in unterschiedlichen Formen schon immer gegeben. Wann immer Menschen in Not oder Panik geraten, greifen sie auf die allen Lebewesen eigene Strategie zurück, die Erhaltung des eigenen Lebens sicherzustellen. Gehortet werden nicht nur Lebensmittel sondern auch Waffen, Bargeld, Devisen oder Gold. Dabei dürfte die Grenze zur äußerst heterogenen Prepper-Szene fließend sein.

Overather Kartoffelkrieg

Ein besonders gewalttätiger Fall in der Geschichte des Hamsterns war der „Overather Kartoffelkrieg“ aus dem Jahr 1923. Infolge der wirtschaftlichen Notlage nach dem Ersten Weltkrieg, die eine massive Inflation und Lebensmittelknappheit mit sich brachte, sorgten sich viele Kölner Stadtbewohner um ihre Vorräte. Nasses Wetter hatte die Kartoffelernte verzögert, die Inflation den Preis für ein Zentner Kartoffeln im Oktober 2023 auf drei Milliarden Mark getrieben.

Immer mehr Kölner strömten daher per Eisenbahn zum Hamstern ins ländliche Umfeld, um von den Bauern Lebensmittel im Tausch zu erwerben. Da es oftmals nichts mehr zum Tauschen gab gingen einige Städter dazu über, Lebensmittelvorräte zu stehlen und mit Gewalt zu plündern. In Overath bildete sich darauf mit Unterstützung der umliegenden Gebiete eine Dorfwehr, der bis zu 1.500 Bauern, Bergleute und Arbeiter angehörten. Ende Oktober 1923 eskalierte die Situation vollends und es kam mehrfach zu blutigen Auseinandersetzungen. Diese führten laut eines sehr lesenswerten Artikels der „Kölnischen Rundschau“ schließlich zu mehreren Toten auf beiden Seiten.

Mit dem Zug zum Hamstern

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg fanden in der 1940er Jahren in Deutschland wieder Hamsterkäufe statt. In dieser Zeit etablierte sich auch der Begriff der „Hamsterfahrten“. Da nach dem Krieg vor allem in den Städten die Versorgung mit Lebensmitteln nicht ausreichte, musste man diese zum Hamstern verlassen. Zugtickets waren damals relativ günstig. So fuhr die Stadtbevölkerung mit der Eisenbahn aufs Land, um Lebensmittel zu besorgen, meist im Tausch gegen Wertgegenstände oder Dienstleistungen. Oft durchwühlten sie dabei bereits abgeerntete Äcker nach vergessenen Kartoffeln. Die Situation entspannte sich erst, als sich die Geschäfte in den Städten nach der Währungsreform 1948 wieder mit Waren füllten.

Historisches Hamstern

Die Liste der Ereignisse, die Hamsterkäufe nach sich zogen, ist so lang wie durchwachsen. Oft, aber nicht immer, sind es (vermeintliche) Gefahrensituation, die zu diesem Phänomen führen. So horteten viele Menschen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986 radioaktiv unbelastete H-Milch und Milchpulver. Zwanzig Jahre später waren es Medienberichten über die Vogelgrippe H5N1, die im Jahr 2006 zum Hamstern großer Mengen von angeblich schützenden Medikamenten führte. Im März 2011 kam es in Japan ebenfalls zu Hamsterkäufen, nachdem das Tōhoku-Erdbeben unter anderem schwere Störfälle im japanischen Kernkraftwerk Fukushima Daiichi (Fukushima I) verursacht hatte.

Leeres Supermarkt-Regal Hamsterkäufe Benanza.Pix
Champions gehen immer, egal ob erste, zweite oder dritte Wahl (Foto: Ben Fischer / Benanza.Pix)

Doch manchmal reicht auch eine bloße Verknappung oder Verteuerung einer Ware, um Hamsterkäufe auszulösen. So führte beispielsweise das für September 2012 festgesetzte Verkaufsverbot von Glühlampen in der EU zu Hamsterkäufen, da die Verbraucher die als Ersatz angebotene Energiesparlampe ablehnten. Ein Jahr zuvor begaben sich im April 2011 zahlreiche Polen auf Hamsterfahrt ins benachbarte Deutschland. Gegenstand der Begierde war damals Haushaltszucker, der in Polen mindestens doppelt so teuer verkauft wurde als in den deutschen Supermärkten. Diese gingen schließlich laut eines Artikels der „Welt“ dazu über, den Zuckerverkauf zu rationieren.

Tipps für Hamsterkäufer

Auch wenn Experten immer wieder betonen, dass Hamsterkäufe nicht erforderlich sind, wird die zu beobachtende Corona-Panik vermutlich zu weiteren Hamsterkäufen führen. Damit man dabei wenigstens die richtigen Waren hamstert, hat das Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine die Checkliste veröffentlicht. Das BBK bietet neben Tipps zur richtigen Vorratshaltung auch einen Ratgeber zum richtiges Handeln in Notsituationen. Ob und inwiefern eine solche aktuell vorliegt, verrät die Webseite des Robert-Koch-Instituts (RKI). Das RKI ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und -prävention. Wer sich also weder vom Coronavirus noch von der damit verbundenen Panikmache anstecken lassen möchte, sollte statt zu hamstern lieber einen Blick auf die dort veröffentlichten „Fragen und Antworten“ werfen. Vielleicht bleibt einem so der ein oder andere Hamsterfehlkauf erspart.

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Keine Quarantäne ohne Klopapier (Foto: Ben Fischer / Benanza.Pix)

2 Kommentare zu “Hamstern bis der „Quincy“ kommt

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